Das Puppentheater galt in den Hochkulturen Asiens und Europas die meiste Zeit als "Unterhaltung des einfachen Volkes". Nur wenigen Puppentheatern war es vergönnt, vor Publikum aus höheren Kreisen aufzutreten, wo sie an den Höfen der Adeligen oftmals zu Repräsentations- und Propagandazwecken eingesetzt wurden. In den meisten Fällen ist die Quellenlage bis ins 19. Jahrhundert sehr dürftig, was vielfältigen Interpretationen und Spekulationen Raum lässt. Zwangsläufig bleiben bei jedem Versuch einer Rekonstruktion der Frühgeschichte des Marionettenspiels viele Fragen offen.
Definition und Bezeichnung
Unter "Marionetten" verstehen wir im Deutschen heute Gliederpuppen, welche indirekt von oben an Fäden, Schnüren, Drähten oder Stangen bewegt werden und für Darbietungen vor einem Publikum gedacht sind.
Die Bezeichnung marionnette begegnet uns erstmals 1528 in der Buchhaltung der Margarete von Österreich, Schwester Kaiser Maximilians I. und Generalstatthalterin der Niederlande. Das Wort marionnette wird - neben anderen Hypothesen - als „Mariechen“ gedeutet und von beweglichen Statuetten der Heiligen Maria abgeleitet. Heute bezeichnet das französische Wort Figuren sämtlicher Puppenspielgattungen (Purschke, Hans R.: Die Entwicklung des Puppenspiels in den klassischen Ursprungsländern Europas. Ein historischer Überblick, Frankfurt/Main 1984, S. 33 ff).
Gelehrte und literarische Belege
Den ersten gelehrten Bericht über Marionettentheater im barocken Italien liefert uns 1652 der Jesuit Gian Domenico Ottonelli.
Neben Handpuppen- und Schattenspiel sowie mechanischem Theater beschreibt er Pupazzi, die auf einer von oben und unten beleuchteten Bühne von einem verdeckten Comediante an einer Eisenstange und vier Fäden für die Hände und Füße sehr lebensecht geführt werden. Die Pupazzi haben Köpfe aus Pappmaché, Körper und Oberschenkel aus Holz, Arme aus Schnur und Hände und Füße aus Blei. Sie tragen bunte Kostüme. Ottonelli schwärmt von den anmutigen Bewegungen und berichtet, dass manche Virtuosen über 100 dieser Pupazzi ihr Eigen nennen und regelmäßig damit auftreten (Ottonelli, Gian Domenico: Della Christiana Moderatione del Theatro, Florenz 1652, Band II (= libro detto L'Ammonitioni a' Recitanti.), S. 462‒465.).
Gliederpuppen in vielfältiger Form und Verwendung, häufig im kultischen Kontext, lassen sich über Rom, Griechenland und Ägypten bis in die Steinzeit zurückverfolgen. So wurden z. B. die Fragmente einer Figur mit beweglichen Gliedmaßen gefunden, datiert auf ca. 26.000 v. Chr., hergestellt aus Mammutelfenbein (Rath, Markus: Die Gliederpuppe. Kult-Kunst-Konzept, Berlin/Boston, De Gruyter, 2016, S. 3.).
Der Ursprung eines eigentlichen Theaters mit Marionetten liegt jedoch im Dunkeln. Man hat ihn in Ägypten, Griechenland, Persien, Indien und China vermutet. Tatsächlich weisen letztgenannte Kulturen eine reiche und jahrhundertealte Marionettentradition auf (siehe Gerd Eversberg).
Im indischen Epos Mahabharata (verschriftlicht ca. 400 v. Chr. - 400 n. Chr.) finden wir folgendes Sinnbild des menschlichen Schicksals: "Wie eine hölzerne Puppe mit Fäden an ihren Gliedern bewegt wird, so bewegt der allumfassende Herr die Wesen." (Buch 3, Kap. 30 "Draupadis Zweifel", Das Mahabharata des Krishna-Dwaipayana Vyasa).
Diese Textstelle können wir so interpretieren, dass es sich bei den beschriebenen Puppen wirklich um Marionetten im heutigen Sinne gehandelt haben dürfte. Wie alt die betreffenden Textstellen wirklich sind, darüber gibt es nur Vermutungen, ebenso, wie diese "hölzernen Puppen" konstruiert und verwendet wurden.